Schärfe vs. Wahrnehmung

Banner, Bildschärfe, Sommerwiese, Dr. Ralph Oehlmann, Oehlmann-Photography

Während es in meinem letzten Blog-Artikel um "maximale (Tiefen-)Schärfe" ging, möchte ich mich heute mehr allgemein mit dem Einfluss der Bildschärfe auf die Wahrnehmung beschäftigen.

Haben Sie das bei sich selbst auch schon einmal beobachtet?

 

Wenn ich ein Bild betrachte, dessen wesentliche Elemente scharf dargestellt sind, dann beschäftige ich mich normalerweise nur kurz mit der Bildaussage und gehe schnell zur Analyse des Bildes über - Bildausschnitt, Farben, Tonalität, Kontrastumfang, Rauschen, etc.. Es bleibt dann aber häufig wenig Raum für das "Erfühlen" eines Bildes.

 

Wenn ich jedoch ein Bild ansehe, bei dem es mit der Schärfe hapert, dann ärgere ich mich oft darüber, dass ich bestimmte Bildteile nicht scharf stellen kann. Solche Bilder betrachte ich in der Regel nur sehr kurz und mache mir höchstens Gedanken darüber, mit welchen Einstellungen man zu einer besseren Bildschärfe hätte gelangen können - Stativ verwenden, kleinere Blende, hyperfokale Distanz nutzen, etc..

Mockup Bild "Summertime", Margeriten-Wiese, selektive Unschärfe, Dr. Ralph Oehlmann, Oehlmann-Photography
click-2-zoom

 

Dann gibt es aber noch Bilder, bei denen die Unschärfe gezielt eingesetzt wurde. 

 

Nehmen wir zum Beispiel das Bild "Summertime" links.

 

In diesem Bild ist überhaupt nichts scharf dargestellt. Dabei ist auch noch unklar, ob es sich um Bewegungs-unschärfe oder um gezielt falsche Fokussierung handelt. (Und würde man genau hinsehen, dann entdeckte man auch noch ein hohes Maß an Bildrauschen)

 

 

Aber...

Mangels Bildschärfe kann sich der Blick auch nicht an Kanten und Strukturen verfangen und man wird so quasi dazu gezwungen, das Bild "als Ganzes" wahrzunehmen. Ohne es zu bemerken, durchläuft das Bild dann den riesigen Bildspeicher unseres Gehirns und es werden Treffer gefunden wie z.B. Sommerwiese...

 

Und von da aus werden unsere Erinnerungen an Sommerwiesen aufgerufen - vielleicht ein Streifzug als Kind durch das hohe Gras einer Sommerwiese, es herrscht ein leichter Wind, ich streichele mit meinen Händen über die Halme, ich rieche die Düfte des Sommers - vielleicht auch den Geruch von gemähtem Gras - ich sehe die Farben der verschiedenen Blüten und ich fühle mich jung und voller Energie  -  ein toller Sommertag!

Was genau sehen wir eigentlich, wenn wir ein Bild betrachten?

Es ist eigentlich nie nur der tatsächliche Bildinhalt sonder in aller Regel eine Mischung aus dem eigentlichen Bild plus unseren Erlebnissen und Erinnerungen, die wir mit dem Bildinhalt assoziieren - ähnlich wie beim Betrachten eines impressionistischen Gemäldes.

 

So wie scharfe Bilder uns durch Ihren Detailreichtum gefangen nehmen, so geben uns Bilder mit gezielter Unschärfe die Freiheit verstärkt zu assoziieren und zu fühlen.

Vielleicht sollten wir also hin und wieder richtig unscharfe Bilder machen und uns überraschen lassen, was sie bei uns so triggern...

 

Viel Spaß dabei,

 

Ihr Ralph Oehlmann

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